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Digitalisierung und soziale Netzwerke als Innovationstreiber in der Versicherungsindustrie – das Beispiel „Friendsurance“

KEY FACTS

  • Hoher Betrugsanteil bei Versicherungsfällen (10 % nach Schätzung der GfK)

  • Optimierungspotential aus Möglichkeiten der Digitalisierung und der sozialen Netzwerke

  • Versicherungen für kleinere Schäden in sozialen Netzwerken über “Friendsuranceœ

  • Versicherer können Verwaltungsaufwand senken und Moral Hazard auslagern

  • Versicherte sparen “ je weniger Schäden in einer Gruppe anfallen, desto höher ist der zurückgezahlte Prämienanteil

REPORT

Das Startup “Friendsuranceœ bietet Versicherungsprodukte, die auf digitalen sozialen Netzwerken aufbauen: Freunde können sich gemeinsam versichern und Schäden bis zu einer bestimmten Summe innerhalb des Freundeskreises regulieren. Gehen die Schäden darüber hinaus, springt die klassische Versicherung ein. Das Modell bietet sowohl Kunden als auch Versicherern Vorteile. Kunden bekommen in schadenfreien Jahren einen Großteil ihrer Versicherungsprämie zurückgezahlt. Dagegen können Versicherer Moral Hazard an Freundeskreise auslagern, weniger Kleinschäden regulieren und ihre Verwaltungsaufwände reduzieren.

Eine der klassischen Herausforderungen im Versicherungsgeschäft ist der sogenannte “Moral Hazardœ. Er besteht darin, dass das für sich rationale Verhalten eines Einzelnen gegen die Interessen des Kollektivs geht, während das Kollektiv es dem Einzelnen erst möglich macht, sich auf diesen Weise für sich rational zu verhalten. Das ist im Kontext der Versicherungswirtschaft dann der Fall, wenn sich ein Versicherter unvorsichtig verhält, gerade weil er versichert ist: der Autofahrer, der aufgrund seiner Kaskoversicherung unvorsichtig fährt. Zu diesem Moral Hazard kommt als weitere Herausforderung im Versicherungsgeschäft hinzu, dass vermeintlich kleinere Betrügereien häufig als Kavaliersdelikt angesehen werden (Abbildung 1). Nur: Was im Einzelfall marginal und unbedeutend sein mag, wird beim Verhalten vieler Einzelner zum Problem für die Allgemeinheit.

 

Abbildung 1: Erhebung der GfK zum Versicherungsbetrug in Deutschland

Ein Lösungsansatz für beide Probleme “ Moral Hazard und Betrug “ besteht darin, das Kollektiv nicht anonym werden zu lassen, sondern seine Mitgliederzahl gering zu halten. Genau diesen Weg verfolgt “Friendsuranceœ und operationalisiert dafür soziale Netzwerke im Internet.

Über Friendsurance können Nutzer mit ihren Kontakten und Freunden in sozialen Netzwerken Versicherungen abschließen. Je Gruppe geht ein Teil der Versicherungsprämien an ein klassisches Versicherungsunternehmen, der restliche Betrag fließt in einen (virtuellen) Topf, den Friendsurance verwaltet. Aus diesem Topf werden die kleineren Schäden gezahlt. Die im Hintergrund bestehenden Versicherungen treten erst bei einer größeren Schadenssumme ein. So wird “ aus Sicht der Versicherung “ die Selbstbeteiligung erhöht, wodurch die Tarife deutlich gesenkt werden können.

Wenn am Ende des Jahres etwas übrigbleibt, wird dieser Betrag aus dem Topf an die Gruppe ausgezahlt. Jeder eingetretene Schaden verringert die zurückgezahlte Summe. Mit Betrügereien und Schäden, die aus Unvorsichtigkeit entstehen, belastet ein Versicherter seine Freunde demnach direkt. Forschungen zeigen, dass Moral Hazard und Betrug sich dadurch spürbar senken lassen. Daraus resultiert, dass sich die Versicherungsprämien reduzieren lassen, was auf die Preissensitivität von Kunden einzahlt und als Key Selling Propostion gegenüber den Kunden eingesetzt wird.

Das Geschäftsmodell von Friendsurance kombiniert die Funktionen eines Online-Versicherungsmaklers mit Produkt-Optimierung auf Basis der besagten Gruppentarife. Als Versicherungsmakler arbeitet Friendsurance mit herkömmlichen Versicherungsunternehmen zusammen und bekommt für vermittelte Verträge Provisionen von den Versicherern. Angeboten werden Haftpflicht-, Hausrats-, Handy- und Rechtschutzversicherungen. Auf diesen Versicherungsprodukten werden zusätzlich die speziellen Gruppentarife aufgesetzt.

Ziel ist, dadurch das Grundprinzip der Versicherung zu reinstallieren und gleichzeitig die Kosten für Moral Hazard, Betrug und Verwaltung zu senken. Gerade der letztere Posten ist nicht zu missachten. Zu den Kosten für den Versicherungsbetrieb gehört auch die Abwicklung von Schäden. Die Kosten für eine Schadenbearbeitung sind (theoretisch) unabhängig von der Höhe des Schadens. Bei kleinen Schäden ist der relative Anteil von Bearbeitungskosten daher höher. Daraus folgt, dass bei gleicher Schadenhöhe die Abwicklung von vielen kleinen Schäden teurer ist als die Abwicklung weniger großer Schäden.

 

Die Versicherer stehen unter hohem Kostendruck, insbesondere mit Blick auf ihre Verwaltungskosten (Abbildung 2). Das Preisbewusstein der Versicherungskunden tut ein Übriges. Da das Friendsurance-Modell die Anzahl der abzuwickelnden Schäden reduziert, generiert es Kostenvorteile für Versicherer.

Die Innovation von Friendsurance beruht auf der Nutzung von digitaler Vernetzung zur Lösung klassischer Probleme eines Versicherers. Anstelle von einem anomymen Kollektiv, dass private Risiken sozialisiert, schaft Friendsurance die Möglichkeit, Risiken in privaten Netzwerken zu verallgemeinern und so Probleme wie Moral Hazard zu reduzieren. Per se neu ist die Versicherung durch kleine Netzwerke nicht. Es ist eher die Rückkehr zu den Wurzeln der Versicherungen, die als kleine Versicherungsgesellschaften auf Gegenseitigkeit begonnen haben. Eine Praxis, die man noch heute in landwirtschaftlich geprägten / dörflichen Strukturen finden kann. Neu ist jedoch, dass die Vorteile dieser geschlossenen Netzwerke digital und somit ortsungebunden insbesondere auch für eine urbane Kundschaft zur Verfügung gestellt werden. Die Innovation von Friendsurance steht dabei nicht in Konkurrenz zu den Produkten klassischer Versicherungen. Vielmehr geht Friendsurance eine Symbiose mit bestehenden Versicherungsunternehmen ein, zum beiderseitigen Nutzen.

QUELLEN

Friendsurance
http://www.friendsurance.de

Financial Times Deutschland
http://www.ftd.de/karriere/gruendung/:friendsurance-geld-sparen-mit-facebook-freunden/70023285.html

Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GdV)
http://www.gdv.de/versicherungsbetrug/zahlen-und-fakten/

 

 

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Artur Burgardt ist Managing Partner bei CORE und spezialisiert auf das Management agiler Umsetzungsprojekte in komplexen Kontexten. Als ausgebildeter theoretischer Physiker sammelte er erste Berufs...

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Artur Burgardt ist Managing Partner bei CORE und spezialisiert auf das Management agiler Umsetzungsprojekte in komplexen Kontexten. Als ausgebildeter theoretischer Physiker sammelte er erste Berufserfahrung als Business Analyst bei großen Finanzdienstleistern und erwarb grundlegende Kenntnisse in der Entwicklung von Kernbankensystemen. Dieser Karriereschritt führte ihn zu CORE. Mit seinem umfangreichen Wissen verantwortet Artur neben den Projekten bei Klient:innen das Knowledge Management bei CORE.

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